Die Balance zwischen Pädagogik und Bühne

Die Schülerinnen des Kurses „Literatur und Theater“ K2 von links (vorne): Nonna Traksel, Olivia Larsen, Evangeline Mathmann (hinten): Larissa Meyer, Julia Lopez, Anne Walcher, Amelie, Prieschl, Stella Schneider

 

Am letzten Tag vor den Herbstferien führten Kursstufenschülerinnen des Kreisgymnasiums „Desaparecidos“ („Die Verschwundenen“) von Ad de Bont auf. (Weitere Aufführungen sind im Januar geplant.) Der zeitgenössische niederländische Dramatiker thematisiert in diesem Stück die Grausamkeiten in den Zeiten der argentinischen Militärdiktatur. Vor allem geht es dem Autor um die Folgen, die das spurlose Verschwinden tausender Oppositioneller bei deren Familien verursacht hat:

 

Erst viele Jahre nach dem Niedergang der Militärjunta erfährt ein alter Mann, der „eiserne Großvater“ (gespielt von Olivia Larsen), dass seine Enkelin (Stella Schneider) nach der Entführung und Ermordung der Eltern (Evangeline Mathmann und Nonna Traksel) als Adoptivkind bei einem hochrangigen Offizier (Amelie Prieschl) und dessen Frau (Julia Lopez) aufgewachsen ist. Jahrelang protestiert der Großvater zusammen mit den „Madres de la Plaza de Mayo“ jede Woche vor dem Präsidentenpalast, um von der Regierung den Verbleib ihrer verschwundenen Angehörigen zu erfahren und die Bestrafung der Täter zu fordern. Um den Hals trägt er das Foto seiner damals dreijährigen Enkelin.

 

Die Zuschauer waren sichtlich beeindruckt von der bedrückenden Atmosphäre aus Furcht, Misstrauen und Gewalt, die das Stück vermittelte. Eine Zeit, in dem ein harmlos wirkender Friseur (Anne Walcher) nett mit seinen Kunden plauderte, um dann als Spitzel alle Informationen seiner Kunden weiterzugeben – wissend, dass dadurch Menschen entführt, gefoltert oder ermordet werden. Auch die Szenen in der Arztpraxis, in der die Psychiaterin (Larissa Meyer) versuchte, dem elfjährigen schwer traumatisierten Mädchen bei der Suche nach ihrer Herkunft zu helfen, waren eindringlich und hielten das Publikum in ihrem Bann.

 

Keine leichte Kost für ein Schultheater – doch die Schülerinnen hätten sich bewusst für dieses Stück entschieden, sagt Sandra Revol, die seit 2010 den Oberstufenkurs „Literatur und Theater (LuT)“ unterrichtet. Über zwei Schuljahre hinweg führt Frau Revol die Schülerinnen und Schüler in die unterschiedlichen Arbeitsfelder des Theaters sowie in die Theatergeschichte und -theorie ein.

Im Zentrum steht natürlich die spielpraktische Arbeit. Neben klassischen Theaterstücken werden auch andere literarische Texte oder eigene Improvisationen der Kursteilnehmer aufgeführt und es wird mit Musik oder Licht experimentiert. Letzteres war in diesem Jahr ein Highlight, da die Gruppe zum ersten Mal mit der von Landkreis, Schule und der Förderkreis finanzierten hochmodernen neuen Lichtanlage in der Aula arbeiten konnte.

Die Aufgabe der Schüler ist, eine Inszenierung selbst zu gestalten, sich für bestimmte Darstellungsweisen zu entscheiden, sich um Bühnenbild, Kostüme und Requisiten und auch die Werbung zu kümmern. Frau Revol sieht sich hier in einer künstlerischen Beratungsfunktion, um den Schülern zu ermöglichen, mit ihren erworbenen Kenntnissen, das Beste aus sich und dem Ensemble herauszuholen.

 

Im Jahr 2008 übernahm Frau Revol zunächst die Theater-AG. Sechs Jahre später stieß dann ihre Kollegin Gaby Henn dazu, sodass die Theaterarbeit auf alle Klassenstufen ausgeweitet werden konnte. Die Theater-AG inszenierte parallel zu „Desaparecidos“ de Bonts „Eine Odyssee“. Auch in diesem Stück geht es dem Niederländer um die zeitlosen Themen der „zerrissenen Familie“ und „Heimat“. „Die Herausforderung, mit zwei Gruppen zeitgleich an zwei sehr unterschiedlichen und doch verwandten Stücken zu arbeiten, war zwar ein Kraftakt, aber machte die Auseinandersetzung mit dem Stoff umso intensiver“, kommentiert Frau Revol die beiden Aufführungen.

 

Wer schon ganz zu Anfang seiner Schullaufbahn am Kreisgymnasium das Schauspielen ausprobieren möchte, kann das beim Musicalprojekt tun, das im Stundenplan verankert ist und alle Fünftklässler ihr Bühnentalent testen lässt.

Neben der Freude am Schauspielen und dem Unterhaltungswert durch die Aufführungen ist es immer wieder erstaunlich, wie verändert sich die jungen Menschen, die man sonst nur auf der Schulbank erlebt, auf der Bühne bewegen. Es besteht kein Zweifel, dass das Theaterspielen persönlichkeitsbildend wirkt und den Schülerinnen und Schülern einen alternativen Weg zu mehr Selbstvertrauen ermöglicht.

 

 

Kirsten Pottbäcker

Beauftragte für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit am Kreisgymnasium Bad Krozingen