Zeitzeugenbesuch Krystina Budnicka

„Meine Geschichte ist die eines Mädchens, das überlebt hat, obwohl vorgesehen war, dass es stirbt!“

 

Die Zeitzeugin Krystina Budnicka (86) erzählt in der Aula des Kreisgymnasiums Bad Krozingen über ihre Zeit im Warschauer Ghetto

 

In diesen Novembertagen mehren sich die historischen Gedenktage: 100 Jahre sind seit der Novemberrevolution, 80 Jahre seit der Reichspogromnacht vergangen. Für junge Menschen, für Schüler und Schülerinnen eine schwer vorstellbare Zeitspanne. Bewusst gemacht werden kann die Kürze dieser Zeiträume, wenn Zeitzeugen aus ihren Erinnerungen erzählen. Immer weniger Menschen können ihre Geschichte des Holocausts aus eigener Erfahrung erzählen. Und so ist Krystina Budnicka, die sich in Polen in der „Vereinigung der Kinder des Holocausts“ engagiert, ein begehrter Gast. Nicht, weil sie, wie sie selbst betont, eine Heldin sei, die gegen die Nationalsozialisten gekämpft, sondern weil sie als damals kleines Mädchen die Gräueltaten der Nazis durch Zufall überlebt habe. Alle Familienangehörigen, ihre Eltern und ihre 7 Geschwister verliert sie in diesen sechs Jahren.

 

Die drei 9. Klassen des Kreisgymnasiums haben sich an diesem Montagvormittag gemeinsam mit ihren Lehrern in der Aula versammelt, um Frau Budnicka und ihrer Übersetzerin Petra Klutzka 90 Minuten lang zuzuhören. In dieser Zeit zeichnet Frau Budnicka ihre Geschichte vom fast schon „verwöhnten Mädchen“ des Jahres 1939 bis zur verzweifelten und verstörten Waisen im Jahr 1945 nach. Sie erzählt vom Warschauer Ghetto in seiner Enge und Trostlosigkeit, in dem Leichname, auch von Kindern, in den Straßen lagen und davon, dass ihre Tode vor allem deshalb nicht gemeldet wurden, damit man an die begehrten Lebensmittelkarten der Toten herankam; jede Lebensmittelkarte bedeutete 80kcal. Sie erzählt von ersten Demütigungen, ihrer Kennzeichnung als Juden, die bedeutete, dass man „weniger als eine Mensch“ sein durfte, von Schikanen, die ihr Vater erleiden musste. Und sie erzählt von ihrer Familie, die sich im Ghetto durch ihren Beruf, die Tischlerei, nützlich machen konnte. Zunächst bauten die Brüder Verstecke für Wertsachen, die alle Juden sofort abgeben sollten. Später, als im Ghetto bekannt wurde, dass das angebliche Arbeitslager Treblinka, für das sich Juden von der SS aufgefordert freiwillig melden sollten, damit sie im Ghetto ein besseres Auskommen hätten, tatsächlich eine Todesfabrik war, bauten sie Verstecke für Freunde und Bekannte. Nachdem sich im Ghetto herumgesprochen hatte, dass die Deutschen den Krieg wohl verlieren würden, im Jahr 1943, bauten ihre Brüder einen unterirdischen Bunker, der mit Trinkwasser und Strom versorgt werden konnte und einen Anschluss an die Warschauer Kanalisation hatte. Über den Weg der Kanalisation nahmen ihre älteren Brüder an der jüdischen Kampforganisation teil, die im April 1943 mit dem Aufstand im Warschauer Ghetto begann. Nach einem Monat Kampf war der jüdische Widerstand gebrochen; Warschau galt als judenfrei. Dies war das erste Mal, dass Krystina Budnicka ihre Heimatstadt in Flammen aufgehen sah. Tatsächlich versteckte sie sich weiterhin mit ihren Brüdern in dem selbstgebauten Bunker. Doch dieser Aufenthaltsort wurde immer gefährlicher, da oberirdisch nach Wertgegenständen gesucht wurde. So wurde auch ihr Zufluchtsort entdeckt; zwei ihrer Brüder erschossen. Es war klar, dass sie nun fliehen mussten, um sich in der Kanalisation weiter zu verstecken. Ihr 12-jähriger Bruder wurde zum Familienoberhaupt, da er als einziger die Wege der Warschauer Kanalisation kannte und wusste, wo man eventuell nach oben kommen könnte. Eindrücklich schildert Frau Budnicka diese Tage in der Kanalisation, wie sie ihre Eltern, die einfach nicht mehr weiterkonnten, zurücklassen musste, und wie ihr Bruder, der in das Abwasser fiel, wenig später an einer Blutvergiftung starb. Sie selbst wurde gerettet, und lebte nach neun Monaten unterirdischem Martyrium fortan mit ihrer Schwägerin an wechselnden Orten im „arischen Teil“ Warschaus. Im September 1944, nach dem 2. Warschauer Aufstand, sah sie ihre Stadt ein zweites Mal in Flammen. Ihr Bruder Rafael, der weiterhin im Widerstand kämpfte, wurde von einem polnischen Spitzel verraten. Er hielt der Folter durch die SS stand und verriet Krystinas Aufenthaltsort nicht. Als der Krieg vorbei war, lebte Krystina im Waisenhaus, eine 12-jährige Analphabetin, die sich fragte, wie sie es verdient hatte, noch am Leben zu sein. Keine Erinnerung zu haben,  die ihr von ihrer Familie geblieben ist – kein Grab, kein Bild, keinen Gegenstand – machte es ihr besonders schwer, nach dem Krieg weiterzuleben. „Ich habe das Gefühl, ich muss erzählen“, schließt sie ihren bewegenden Bericht.

 

Die Schüler und Schülerinnen danken dem Max-Kolbe-Werk, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, Zeitzeugen auch an Schulen zu vermitteln, und vor allem Frau Budnicka, die erzählen will, um sich und andere zu erinnern. Ganz begreifen können wir den Hass der Deutschen und das Leid der jüdischen Bevölkerung wohl nie, doch jede Erinnerung hilft uns als Nachgeborene vielleicht etwas besser nachzuempfinden. Vielen Dank, Frau Budnicka!

 

 

Sonja Herbers